Leitlinienentwicklung für die Überwachung nachgewiesener Zöliakie

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Nach der Diagnose Zöliakie müssen Betroffene eine strenge, lebenslange glutenfreie Diät einhalten.

Während die Kriterien für die Diagnose gut definiert sind, fehlt es bei der anschließenden Überwachungsphase bei nachgewiesener Zöliakie an spezifischen Leitlinien. Eine wissenschaftliche Arbeitsgruppe, unter anderem bestehend aus Ärzten*, Ernährungswissenschaftlern und Biostatistikern entwickelte für diese Phase Empfehlungen mit jeweils zugehörigem Evidenzgrad.

Einführung

Die Identifizierung einer nachgewiesenen Zöliakie sowie die daraus resultierende Notwendigkeit der glutenfreien Ernährung (glutenfree diet, GFD) sind klar durch Leitlinien geregelt. Da es sich bei Zöliakie um eine immunologische, lebenslange Erkrankung mit erhöhtem Risiko für Komplikationen handelt, wird eine kontinuierliche Überwachung der Patienten empfohlen. Gegenwärtig fehlt es jedoch an einheitlichen Standards zur Überwachung der Betroffenen unter GFD nach der Diagnose. Um Patienten eine bessere Nachsorge zu ermöglichen und Klinikern eine Anleitung für einen standardisierten und konsensfähigen Ansatz zur Überwachung der Zöliakie zu geben, hat die Arbeitsgruppe auf Grundlage bestehender Daten erste Empfehlungen für die Überwachung nachgewiesener Zöliakie entwickelt.

Methode

Im Oktober 2021 bildete sich eine Leitlinienentwicklungsgruppe (Elli et al.) von Experten des Themenfeldes Zöliakie. Die Entwicklung der Empfehlungen erfolgte mehrstufig:

Zunächst wurde eine umfassende systematische Literaturrecherche durchgeführt. Diese erfolgte über PubMed, Embase und Cochrane Library. Auf Grundlage dieser erfolgte die Entwicklung der Empfehlungen. Bei der Entwicklung wurde die GRADE-Methodik (Grading of Recommendations, Assessment, Development and Evaluation) angewendet. Die GRADE-Methodik dient dazu, die Qualität von Evidenz und Stärke von Empfehlungen von Leitlinien einzustufen. Nach der Entwicklung der Empfehlungen erfolgten mehrere unabhängige Abstimmungen, bei denen die Mitglieder der Arbeitsgruppe und ein Gremium die finalen Empfehlungen abstimmten, sowie eine Patientenvertretung als Kontrollinstanz. Die nordamerikanischen und europäischen Zöliakie-Fachgesellschaften prüften und befürworteten die entwickelten Leitlinien abschließend.

Ergebnisse:

Folgende Empfehlungen (inklusive Stärke der Aussage und Evidenzgrad) wurden zur Überwachung nachgewiesener Zöliakie ausgearbeitet, geprüft und befürwortet:

 

Serologie/Bluttests

Empfehlung Stärke Grad der Evidenz
Wir empfehlen eine routinemäßige serologische Untersuchung mit Anti-TG2-IgA-Serumspiegeln bei Patienten mit Zöliakie, die eine GFD einhalten; ein positiver Wert deutet auf eine schlechte Einhaltung der Diät oder eine Glutenkontamination hin, während ein negativer Wert keine strenge Einhaltung der Diät oder eine fehlende Glutenexposition bestätigen kann. Stark Sehr niedrig
Wir empfehlen, eine Normalisierung der Serologie (Anti-TG2-IgA) nicht als Marker für die Erholung der Schleimhäute, während einer langfristigen GFD heranzuziehen, da die Sensitivität für die Identifizierung einer anhaltenden Zottenatrophie gering ist. Stark Sehr niedrig
Wir empfehlen die Verwendung klinisch-chemischer Analysen von Blutbild, Eisen, Folsäure und anderen Mikronährstoffen zur Bewertung der Malabsorption und des Ernährungsstatus bei Patienten mit Zöliakie, die eine GFD einhalten. Stark Sehr niedrig

Beurteilung der GFD

Empfehlung Stärke Grad der Evidenz
Wir empfehlen den Einsatz einer diätetischen Bewertung, um die Einhaltung der GFD durch die Patienten einordnen zu können. Stark Niedrig
Wir empfehlen eine diätetische Bewertung, um die Ernährungsbilanz der GFD während der Nachbeobachtung zu überwachen. Schwach Sehr niedrig
Wir empfehlen die Verwendung eines standardisierten Fragebogens, der von den Patienten selbst ausgefüllt wird, als sinnvolle Methode zur Beurteilung der Therapietreue, wenn kein Ernährungsexperte zur Verfügung steht. Stark Sehr niedrig
Wir empfehlen die Verwendung von Fragebögen als Teil einer ganzheitlichen klinischen Bewertung. Schwach Sehr niedrig
Wir empfehlen die Bestimmung von immunogenen Glutenpeptiden (GIPs) in Urin oder Stuhl bei refraktärer Zöliakie (refractory coeliac disease, RCeD), wenn der Verdacht auf Glutenaufnahme besteht. Stark Sehr niedrig
Wir empfehlen die Verwendung von GIPs zum Nachweis der geschätzten Glutenaufnahme. Schwach Sehr niedrig
Wir empfehlen, die Einhaltung der GFD zu fördern, um die Lebensqualität über andere klinische Vorteile hinaus zu verbessern. Kliniker sollten sich jedoch darüber im Klaren sein, dass GFD-Hypervigilanz die Lebensqualität beeinträchtigen kann, und die Patienten sollten auch in dieser Hinsicht überwacht werden. Schwach Sehr niedrig

Endoskopie und Histologie

Empfehlung Stärke Grad der Evidenz
Wir raten von einer routinemäßigen Re-Biopsie-Strategie bei Patienten mit Zöliakie unter GFD ab. Stark Sehr schwach
Wir empfehlen 12-24 Monate ab Beginn der GFD als angemessenen Zeitrahmen für die Wiederholung der Duodenalbiopsie bei behandelten Patienten mit Zöliakie, es sei denn, es liegt ein schwerer klinischer Verlauf vor, bei dem eine Wiederholung der Biopsie in einem kürzeren Zeitraum angezeigt wäre. Schwach Sehr niedrig
Wir empfehlen vier gezielte Biopsien im zweiten Teil des Duodenums sowie zwei gezielte Biopsien im Bulbus als sinnvolle Strategie zur Beurteilung der Schleimhautheilung bei Patienten mit Zöliakie unter einer GFD. Stark Sehr niedrig
Wir empfehlen die Verwendung der TCR-Klonalitätsanalyse zur Subtypisierung refraktärer Zöliakie. Wenn eine Immunphänotypisierung mittels Durchflusszytometrie von isolierten Dünndarm-IELs nicht verfügbar ist, wird ein kombinierter Ansatz aus TCR-Klonalitätsanalyse und IHC der Duodenalschleimhaut empfohlen. Schwach Sehr niedrig
Wir empfehlen die Verwendung der Durchflusszytometrie zur Immunphänotypisierung von Dünndarm-IELs als Referenzstandard für den Subtyp RCeD. Stark Sehr niedrig
Wir empfehlen die Verwendung von Kapselendoskopie und/oder gerätegestützter Enteroskopie bei der Zöliakie-Überwachung in Fällen von vermuteten Komplikationen und RCeD. Stark Niedrig

Sonstige Untersuchungen

Empfehlung Stärke Grad der Evidenz
Wir empfehlen die Verwendung des D-Xylose-Atemtests oder des Urinsekretionstests zur Bewertung der Resorption bei Patienten mit Zöliakie nicht. Stark Sehr niedrig

Fazit

Die Arbeitsgruppe Elli et al. widmete sich aufgrund fehlender Leitlinien zur Überwachung nachgewiesener Zöliakie der Entwicklung von Empfehlungen für den Einsatz der wichtigsten Überwachungsmethoden, die in der derzeitigen klinischen Praxis häufig verwendet werden. Die erarbeiteten Empfehlungen konzentrieren sich auf die Nachsorge von Erwachsenen mit Zöliakie und sind möglicherweise nicht in der Pädiatrie anwendbar.

Die Leitlinien wurden in einem mehrstufigen Verfahren von einem Expertenteam durch systematische Literaturrecherche der derzeit vorliegenden Forschungsergebnisse und unter Verwendung der GRADE-Methode erstellt sowie von einem internen Gremium, einer Patientenvertretung und von der nordamerikanischen und europäischen Zöliakie-Fachgesellschaft geprüft und befürwortet. Der Grad der Evidenz der Empfehlungen ist als gering einzustufen.

Der Mangel an derzeit vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen zur Überwachung von Patienten mit Zöliakie und der daraus resultierende geringe Grad an Evidenz der Empfehlungen, aber nicht minder auch der Anstieg der Zöliakie-Diagnosen sowie das erhöhte Risiko an Komplikationen der Zöliakie zeigen den Bedarf an weiterer Forschung in diesem Bereich.

Zusammenfassend sind die entwickelten Empfehlungen als pragmatische Informationen für Fachkräfte zu sehen, die die Verbesserung und Konsistenz der Versorgung von Patienten mit Zöliakie ermöglichen können sowie wichtige Bereiche für die zukünftige Forschung aufzeigen.

*Aufgrund der Lesbarkeit wird hier das generische Maskulinum verwendet. Die verwendeten Personenbezeichnungen beziehen sich – sofern nicht anders kenntlich gemacht – auf alle Geschlechter